Der zerbrochene Bernstein

Es braucht für gewisse Dinge einfach Zeit. Oder den richtigen Zeitpunkt. Auch um über etwas zu reden. 

 

Seit dem vierzehnten August ist mein Talisman hin. Futsch, kaputt, zerschellt. Auf den Badezimmerfliesen in drei saubere Teile zerbrochen. DER Bernstein, der Glücksbringer, den ich beim Schreiben auf dem Busen trug und den ich mit feuchten Händen an Lesungen umklammerte, liegt nun seit vier Monaten dreigeteilt in der Schreibtischschublade und wartet darauf, dass ich ihn beachte und mit den Fingern umschmeichle wie vorher. 

 

Es gelang mir bestens, ihn und den Bruch in der Betriebsamkeit der letzten Monate zu ignorieren. Ich habe nie über den Zwischenfall gesprochen, habe seitdem überhaupt keine Blogs mehr geschrieben, wie ich jetzt feststelle. Als wäre mit dem Bruch die Inspiration und Muse abhanden gekommen. Morgen geht es nach Wien. Dort werde ich die letzten Lesungen der TRUDE Tour halten. Und schau an, ein kleiner fieser Stich macht sich im Herzen bemerkbar. Kann es denn wirklich sein, dass so ein simpler Gegenstand einen solch hohen Stellenwert hat?! Im Januar hatte ich ihn ja schon einmal verloren und deswegen eine kleinere Krise geschoben. Ich möchte aus einem Halbedelstein keinen heiligen Gral und mich bestimmt nicht davon abhängig machen. Ja, ich habe eine mediale Ader. Das weiss ich. Doch sperre ich mich mit Hand und Fuss, weder als Privatperson noch als Autorin in eine Eso-Ecke abgeschoben zu werden. Dafür bin ich viel zu komplex und bodenständig. 

 

Und doch... die Umstände des Bruches muss ich nun erzählen, mich dem stellen, wenn ich verstehen möchte. 

Wenn ich meinen Platz im Autorinnen-Universum verstehen und ausloten möchte. 

 

Mein Freund, der Bernstein ist nämlich am frühen Morgen der Longlist-Verkündigung des Deutschen Buchpreises in die Brüche gegangen. Was hat jetzt der Bernstein mit dem Deutschen Buchpreis zu tun? Das frage ich mich eben auch! Die ganze Geschichte: 

 

Im Februar 2018 unterhielt ich mich mit einer Buchhandel-Insiderin über meine Chancen als Newcomerin, den Pflichten der Verlage und dem undurchdringlichen Dschungel des Buchmarktes per Chat. Mitten in die Konversation platzte eine Mail meiner Verlegerin, die mich fragte, ob ich einverstanden wäre, TRUDE für den Deutschen Buchpreis vorzuschlagen. Mir fiel als erstes die Kinnlade herunter, zwei Tage später sagte ich zu. Dies nach langem Ringen. Denn, ich hatte kein Verlangen, mich mit meiner noch frischen Autorenseele der Schlachtbank der Literaturkritiker auszusetzen. Für den Fall einer Nomination. Die Kühnheit, es doch zu wagen überwog und ich behielt die kaum zurückzuhaltende Sensation für mich, bis ich im April über die Bewerbung sprechen durfte. 

 

In der Folge plapperte ich in einer kindlichen Unschuld über die Ehre und das Vertrauen meiner Verlegerin in das Potential des Romans und postete auf meinen Kanälen fröhlich: TRUDE ist am Start für den Deutschen Buchpreis. Heute frage ich mich, ob ich besser den Mund hätte halten sollen. Denn zwischen Nomination und Bewerbung liegen wichtige Nuancen. Die Fans befeuerten mich, als wäre ich auf der Zielgeraden. Und manchem Insider des Bucholymps ist meine Offenheit vielleicht zu selbstsicher dahergekommen. 

 

Meine Erfahrung und Realität als Autorin 2018: TRUDE Leserinnen aus dem ganzen deutschsprachigen Raum sind begeistert von Trudes Lebensgeschichte, von meinem Schreibstil und der Message der Erzählung. Die meisten kontaktierten Buchhandlungen und Literatur-Clubs mochten Trude keine Aufmerksamkeit schenken. Doch genau da liegt der Hund begraben. Als Autorin brauche ich den Handel und Rezensionen, wenn es denn etwas werden soll. Und gleichzeitig habe ich Schiss vor den vergeistigten und oft selbstverliebten Literaturkritikern. 

 

Eine Freundin organisierte im April eine Lesung und lud den ortsansässigen Literatur-Zirkel dazu ein. Die Antwort lautete: „Es spricht uns nicht an, da der Roman in in einem esoterischen Verlag herausgegeben worden ist.“ Ich verdrehte die Augen und bin heute noch überzeugt, dass keiner der Erlauchten auch nur einen Blick in meinen Trude-Roman geworfen, geschweige denn eine Zeile daraus gelesen hatte. Ich frage mich als Nichtakademikerin in der Folge, was Literatur sein darf. Ich bin noch zu keinem schlüssigen Ergebnis gekommen.  Vermutlich meiden mich Buchhandlungen auch wegen dem lila-esoterischen Anstrich des Verlages wie der Teufel das Weihwasser. Dabei verdient es sich sehr gut mit Pascal Voggenhuber und Christina von Dreien! 

 

Nun, die Anmeldung für den Buchpreis konnte ich monatelang bis die Tage vor der Bekanntgabe der Long List aus dem Fokus verdrängen. Am Vorabend konnte ich jedoch nicht einschlafen. Ich tigerte noch nachts um drei in der Küche herum und holte mir schliesslich Hilfe bei meinem Bernstein, den ich in die Nahttasche meiner Pyjamahose steckte, ging zu Bett und schlief darauf tief und traumlos. Nach dem Weckerappell schoss ich hoch, erinnerte mich schlagartig an den bedeutungsvollen Tag, tappte ins Badezimmer, liess die Flanellhose für das Morgenritual des Blasenleerens herunter. Ich hörte nur den dumpfen Aufprall und sah kurz darauf die Bescherung auf den Fliesen. Da lag mein oranger Handschmeichler in drei scharfkantigen, sauber getrennten Stücken auf dem orientalischen Muster. In dem Moment wusste ich, dass ich nicht nominiert war.

 

Um zehn folgte die Bestätigung aus den Medien, dass andere Titel nominiert waren. Noch nie in meinem Leben fühlte ich mich so erleichtert. Doch, einmal noch, als ich im Januar 2016 den medizinischen Befund bekam, dass ich nicht wie befürchtet, an Krebs erkrankt war. Diese körperliche Entspannung, das Daueraufatmen war Zeichen genug, dass ich zu dem Zeitpunkt nicht bereit war, öffentlich gerichtet zu werden Als Opfermessen betrachte ich nämlich das Gebaren der Kritiker, die einen Roman auf einer Schlachtplatte präsentiert bekommen und mit groben Fingern zerlegen und fressen. Und davor war ich mit der Nichtnomination erst einmal bewahrt worden.

 

Ich weiss, Erfolg kommt nicht über Nacht und geht nicht ohne öffentliche Besprechungen. Ich sollte mich denen gefügig machen, die mir zu mehr Sichtbarkeit verhelfen. Ich bin ein lernbereiter und entwicklungsfreudiger Mensch und bin offen für konstruktive Auseinandersetzung. Wenn sie anständig und nachvollziehbar ist. 

 

Um den Bernstein finde ich es schade. Jammerschade. Er wird mir in Wien an den Lesungen fehlen. Und es bleibt die Ratlosigkeit, wie ich als Newcomer-Autorin mit einem Verlag ohne Werbebudget meinen Platz im hart umkämpften Buchmarkt finde. Es bleibt die Frage: Werde ich je die materielle Anerkennung für die geleistete Recherche- und Schreibarbeit und eine gute Geschichte in Form eines soliden Einkommens bekommen? Soll ich mich der nüchternen Realität stellen, den Frauen der Bernsteinsaga vor dem geistigen Auge, die mich antreiben, den Faden und das Schreiben wieder aufzunehmen ein „Lasst mich endlich in Ruhe!“ entgegenschreien und mir wieder einen Brotjob suchen? 

 

Der zerbrochene Bernstein. Steht er symbolisch für eine zerbrochene Illusion? 

 

Ich kenne mich eigentlich mit „Brüchen“ gut aus. Darin, mich mit plötzlich veränderten Lebensumständen zurechtzufinden, habe ich eine Meisterschaft erlangt. Denn ein Bruch, eine Zäsur ist immer ein Abbruch von etwas Altem und gleichzeitig ein Neuanfang. Ich habe gelernt, an nichts festzuhalten, was gehen möchte. Was jetzt schon klar ist: Nächstes Jahr bricht die finanzielle Unterstützung von meinem Mann ab, die mir bisher die Narrenfreiheit gegeben hatte, neben der Familienarbeit nur zu schreiben. Diese Veränderung ist vollkommen in Ordnung, schliesslich steht es meinem Gefährten auch zu, seinen Visionen zu folgen. 

 

Für mich heisst es ganz realistisch mit der Schreiberei über die Bücher zu gehen. Mit 1.80 € pro verkauftem Buch und einem überschaubaren Absatz kann ich mein Leben noch lange nicht finanzieren. 

 

Was neu anbricht und in welche Richtung mein Berufsweg gehen wird, wie ich mein Einkommen bestreiten werde, weiss und spüre ich noch nicht. Auch die drei Bernsteinstücke in meiner Hand geben keinen Hinweis. 

 

2019 wird wegweisend werden.