
„Always be yourself unless you can be an unicorn!“, zieren Postkarten, Kaffeetassen, Badezusätze und schwemmen den Geschenkartikel-markt für die beste Freundin. Nicht nur Mädchenherzen schlagen höher beim Anblick des Fabelwesens, sondern auch gestandene Frauen lassen sich davon verzaubern. Ich bin seit 2016 Mitglied der Online Plattform Charismatic Female Leadership, also bei den charismatischen Führungsfrauen. In diesem Club geht es um Vernetzung und Sichtbarkeit im Business. Als Autorin und Sängerin hilft mir dieses gegenseitige „Boostern“, insbesondere in den sozialen Medien, enorm. Unser Logo: Ein Einhorn! Unser Credo: „Sei immer du selbst, ausser du kannst ein Einhorn sein!“
Ich fand dies zu Beginn originell, kühn und witzig, liess mich vom Glimmer und der Leichtigkeit des Einhorns betören. Es gab dem Business etwas Ladylikes und nahm ihm die männliche (sorry Männer, schon wieder ...) Verbissenheit. Frau darf erfolgreich, einzigartig, selbstbewusst, glamourös und etwas magic sein. Ich war also ganz in diesem neuen Frauen-im-Business-aber-verspielt-Modus, als mich zu Fasching meine Tochter mit einer Bildnachricht überraschte. Auf dem Selfie sah ich mein erwachsenes Mädchen vor dem Spiegel im Einhorn-Kostüm.
„Ei! Mein Kind ist ein Einhorn!“,
kam es spontan über meine Lippen und durch den WhatsApp Kanal zu meiner Tochter. Ich war richtig entzückt, dass wir uns plötzlich über das Fabelwesen auf einer zusätzlichen, neuen glimmer-magischen Ebene trafen. Fortan galoppierten Einhorn-Witze-Bilder-Clips-Gadgets flott zwischen Luzern und Bodensee hin und her und es wurde unser Mutter-Tochter-Pling-pling-pling.
„Was ist es, dass gestandene Frauen und konsumkritische Jungpolitikerinnen von diesem kitschigen Fabelding entzückt sind? Aus welchem Himmel fallen plötzlich alle diese Einhörner?“, habe ich mich diesen Sommer gefragt, als aufblasbare Einhörner auch Schwimmbäder und Seen bevölkerten.
Beim Spaziergang durch die Zuger Innenstadt zog mich ein pink-glitzeriges Schaufenster magisch an. Auf dem Schild, das von einem Rudel Strick-, Plastik-, Plüsch und Glaseinhörnern umrahmt war, stiess ich auf eine mögliche Erklärung:
„Das Einhorn ist das Tier der Intuition, des Hellsehens und der umfassenden Wahrnehmung. Mit seinem Horn stellt es den Kontakt zu anderen Ebenen und Dimensionen her und ruft dich auf, in dein Innerstes zu blicken und deine inneren Ressourcen voll zu entfalten und innen und aussen in Einklang zu bringen. Transformation ist ein weiteres Schlagwort das Einhorn betreffend, das dich auffordern möchte, alles Alte und nicht mehr zu dir Gehörige gehen zu lassen.“
Diese Zuordnung stammt eindeutig aus der esoterischen Ecke. Doch die Sehnsucht nach einer neuen Mystik, nach Sinn und Übersinn hat den Mainstream längstens und breitest erfasst. Das Alltagstempo ist erbarmungslos, die Nachrichten von Krieg, Vertriebenen und einem möglichen ökologischen Kollaps gehen an die Substanz. Mir geht es so, dass ich der schweren Kost etwas entgegensetzen oder drauf setzen muss. Vielleicht ist das Einhorn ja wie das Schnäpschen nach einem deftigen Fondue? Es hilft zu verdauen, macht den Kopf tüdelig und zaubert der Runde ein seliges Grinsen ins Gesicht.
Das Einhorn hat auf mich einen Lady-Di-Effekt. Beides verzaubert mich. Beides kommt aus einer fernen, heilen Märchen-Welt, ist massentauglich und gestattet mir, mich kitschig auszustatten und gefühlsduselig zu benehmen. Als Lady Diana verunfallt war, heulte ich mit Millionen Menschen auf der Welt gleichzeitig Rotz und Wasser, obwohl kaum jemand die Frau persönlich kennen gelernt hatte. Lady Di und das Einhorn rühren einen Teil in mir an, der an das Schöne und Gute und Heile glauben möchte. Wie es scheint bin ich nicht die einzige.