Alles für die Katz

Unsere Katze ist verschwunden. Spurlos. Ohne Ankündigung. Einfach weg. Lenny heisst der Kater, der noch nicht einmal ein ganzes Jahr bei uns gewohnt hatte, bevor er einen Abgang machte. Wir hatten ihn im Sommer 2016 für unseren Jüngsten nach dem Verlust seines ersten Kätzchens Wendelyn ins Haus geholt. Wir brauchten zwei Jahre, um die Bilder und den Schmerz dessen grausamen Todes zu verdauen. Wendelyn hatte sich im Juni 2014 nachts im Kippfenster eingeklemmt, sich losgestrampelt, versteckt und am Folgetag auf unsere Rückkehr von der Wanderung gewartet und sich vor die Haustür gelegt. Der Tierarzt, der zufällig (!?!) vorbeifuhr, befreite es von den Qualen und das Kätzchen durfte in den Armen unseres Sohnes sterben. Es war entsetzlich. Für uns alle. 

 

Und dann eben letzten Sommer. Endlich hatten wir den Mut und die Bereitschaft für einen neuen Fellkameraden. Lenny kam zu uns. Er stammte aus einer liebenswürdigen Familie und einem gesunden Wurf. Der Charmebolzen hat uns alle sofort um den Finger gewickelt. Das ganze Quartier hat er bezirzt mit seiner Verspieltheit und Liebenswürdigkeit. Ich bin auf einem Hof mit Katzen aufgewachsen. Lenny hat sie alle getoppt. Keine Katze vor ihm hat mich so begeistert, wie dieser rote Kater. 

 

Bevor er kastriert wurde, hatte er alle Textilien markiert. Ich habe ihm verziehen! Auch, dass er auf unseren neuen Parkettboden im Wohnzimmer geschissen und gepinkelt hat. Den Holzboden, den ich beschützt und verteidigt habe vor Kindern, Gästen und Trink- und Essgelagen. Ich hatte mich stets wie ein Türvorsteher vor das Wohnzimmer gestellt und die Menschen nur mit Socken und ohne gefährliche Flüssigkeiten oder Proviant durchgelassen. Aber dieser kleine freche Kerl scherte sich einen Deut um meine Regeln und erleichterte sich einfach wonnevoll auf dem Parkett. Die Flecken sind heute noch deutlich sichtbar! Und es zieht mir ein wenig im Herz. Nicht wegen dem verfärbten Holz, sondern weil der Kerl verschwunden ist! 

 

Jetzt sind es bald drei Wochen. Wir sind jeder Spur nach, haben Flyer verteilt, haben Tierarzt und Tierschutzorganisationen informiert. Die Kinder im Quartier sind wachsam. Doch niemand hat unseren roten Kater gesehen. Die Gefühle fahren Achterbahn. Hoffentlich ist er nicht verletzt und leidet. Der kommt schon wieder. Hör auf zu wimmern, es ist ja „nur“ ein Tier. Ein roter Streuner wurde gesichtet: grosse Hoffnung. Nach der erfolglosen Suchaktion: herbe Enttäuschung. Mein Mutterherz leidet mit dem Kind. 

 

Eine Wende in das „Gfühlsgstürm“ brachte ein Telefongespräch mit einer Tierkommunikatorin. Man mag halten davon, was man will: Uns, vor allem unserem Sohn hat es unendlich getröstet! Die Frau kann mit der Seele der Tiere reden. So hat sie am Telefon mit Lenny Kontakt aufgenommen und mir eins zu eins übersetzt, was der Kater ihr einflüsterte. 

 

Lenny sei wohlauf. Es gehe ihm sogar richtig prächtig. Er hätte einfach keine Lust mehr darauf gehabt, der süsse Schmusetiger der Familie zu sein. Er hätte das „Kerlsein“ entdeckt und geniesse die Wanderschaft und das freie Leben. Mit seinem Charme komme er überall zu Futter und Wasser. Vielleicht komme er irgendwann zurück, wenn er seine Freiheit und sein Machogehabe ausgekostet hätte. Aber das wisse er jetzt noch nicht so genau. 

 

Meinem Jüngsten, selber kurz vor der Pubertät, hat diese Botschaft sehr gefallen. Er hat über das ganze Gesicht gestrahlt, als ich ihm vom Telefonat erzählte. Er hat diese ungewöhnliche Kontaktaufnahme überhaupt nicht in Frage gestellt. Im Gegenteil: 

 

„Das beruhigt mich total. Und ich finde es cool, dass jetzt Lenny das Leben erkundschaftet und zum Katzen-Mann wird!“