
Beim Überarbeiten von TRUDES Manuskript bin ich über die eine oder andere Textpassage gestolpert, die mir ein ganz klein wenig Schamröte ins Gesicht getrieben hat. Es geht an die Wäsche oder anders ausgedrückt, es kommen sinnliche Szenen vor. Beim Schreiben habe ich mir darüber keine Gedanken gemacht. Im Flow wird einfach niedergeschrieben und wenn sich zwei Menschen näher kommen, passiert es einfach und gehört zur Dramaturgie dazu. Trude ist eine Figur und im Roman sind keine autobiographischen Elemente. Eigentlich hätte ich genügend Distanz zur Geschichte. Und dennoch, wenn ich jetzt lese, wie es bei Trude erotisch wird, keimt eine kleine Verlegenheit auf. Denn:
„Was werden die Nachbarin, meine Kinder (!!!) über mich denken, wenn sie mein Buch lesen werden?“
Unser Jüngster pflegt, wenn wir alle zusammen einen Film anschauen und sich Paare küssen, die Hände vor die Augen zu schlagen. Es ist ihm peinlich, mit den Eltern Knutschszenen anzuschauen. Ich sehe nichts, also ist es nicht, ist seine Strategie und sein Schamschutz.
Meine Freundin kicherte nur, als ich ihr von meiner Scham berichtete und erzählte mir eine Episode aus ihrer Jugend. Ihre Eltern brachten ihr ab und zu das BRAVO Heft vom Kiosk heim. Die interessantesten Artikel aber, diejenigen von Doktor Sommer, wurden von der Mutter vorab mit Leimstift zensiert. Die Aufklärungsseiten waren immer zugeklebt.
In einer Rezension auf mein erstes Buch SEEMANNSGARN stand, die Autorin hätte ruhig etwas mehr zur Sache kommen können. Eine andere Leserin bemerkte zur selben harmlosen Szene mit dem Matrosen: "Das zu lesen war mir sehr unangenehm, es war wie durchs Schlüsselloch zu gucken. So viel will ich als Leserin gar nicht wissen."
Seit ich schreibe und damit in die Öffentlichkeit gehe, bewege ich mich auf dieser dünnen Linie zwischen zu viel (Fremdschämrisiko) und zu wenig (langweilig). Die Schriftstellerei ist wie ein Striptease, ein Spiel mit Offenheit, Reizen und gekonntem Verbergen. Bei Menschen, die ich nicht persönlich kenne ist es mir egal, wie viel ich preisgebe. Es gibt aber bestimmte Personen, bei denen ich aus Verlegenheit erröte, ganz egal ob im richtigen Leben oder über meine Schreiberei, wenn es zu intim wird. Ich möchte auch nicht unbedingt mit dem Gemeindepräsidenten oder einem ehemaligen Vorgesetzten in die Sauna.
Ich könnte ja bei gewissen Menschen, die mir nahe stehen, die brisanten Seiten in TRUDE einfach zukleben. Wie die clevere Mutter meiner Freundin. Konkret umgesetzt heisst das aber, dass ich bei einer Lesung nicht nur einen Schreibstift für die Widmung, sondern auch einen Leimstift für die Zensur bereitliegen haben muss. Auch peinlich.