Die Sinalco Flasche auf der Baustelle

Zwei grosse Brüder sind eine Plage für ein kleines Mädchen. Ich bin die Jüngste von fünf Geschwistern. Die beiden Schwestern - neun und elf Jahre älter als ich - waren schon früh flügge und haben mich mit den Brüdern zurückgelassen. Diese haben mich gepiesakt, wann immer sie dazu Laune hatten.

 

Auf der Wiese hinter unserem Obstgarten baute der Gemeindepräsident ein Haus. Es war uns Kindern strengstens verboten, uns auf der Baustelle aufzuhalten. Doch wenn immer die Handwerker Feierabend hatten und unsere Eltern noch auf dem Feld oder in den Reben waren, schlich ich auf den Rohbau. Zwischen den Betonwänden war mein Abenteuerspielplatz. Es machte grossen Spass um die herausragenden Stromkabel, die Stahlgitter und die Holzbalken zu balancieren und mir vorzustellen, wie das fertige Haus dereinst eingerichtet werden könnte.

 

Einmal entdeckte ich, dass die Maurer ihre Getränke im zukünftigen Wohnzimmer hatten stehen lassen. Neben leeren Bierflaschen stand eine halbvolle Flasche mit Sinalco. Wie ich diese gelbe Limonade aus Zitrusfrüchten liebte! Ganz anders als heute, waren für uns Bauernkinder in den frühen Siebzigerjahren Süssgetränke oder Schlecksachen seltene Glücksgüter. Es gab sie nur zu Geburtstagen und Feiertagen.

 

Der köstliche Nektar sah zu verführerisch aus! Es war niemand in Sichtweite und ich überlegte blitzschnell, dass es nicht auffallen würde, aus der angebrauchten Bügelflasche zu trinken. Der Verschluss liess sich leicht öffnen, ich setzte die Öffnung vorsichtig an die Lippen, kippte das Glas und erwartete süsse Freude am Gaumen. Reflexartig spie ich jedoch die Flüssigkeit in weitem Bogen wieder von mir. Sie schmeckte bitter, eklig und sie stank nach.... – das durfte doch nicht wahr sein - ... doch.. nach Urin!!! 

 

Plötzlich hörte ich Gekicher und als ich den Kopf umwandte, sah ich zwei Bubenköpfe im glasfreien Fenster auftauchen. Meine Brüder grinsten mich breit an und konnten sich vor Lachen nun nicht mehr halten. Mir trieb es Tränen in die Augen. Blitzschnell verliess ich den Ort des Grauens, rannte zum Hof zurück und suchte meine Rückzugsecke auf. Lieblingskatze Molly kam angelaufen, kuschelte sich auf meinen Schoss und liess es gewähren, dass ich den kindlichen Kummer in ihr Fell weinte.  

 

Heute schmunzle ich über die üblen Streiche meiner Brüder und denke mir, dass ich dank ihnen nicht so leicht unterzukriegen bin.