Der Baske auf der Küchenanrichte

Die Episode mit Juanes ist so verrückt, dass ich sie bisher nur wenigen erzählt habe. Vor sieben Jahren tauchte er einfach auf. Wir waren damals gerade in unser grosses Haus umgezogen. In der Folge brach unser bisher gewohntes Freundes- und Alltagsnetzwerk ab. Ein Neues liess sich nicht auf die Schnelle etablieren. Unser Jüngster bescherte uns schlaflose Nächte, der Mittlere erboxte sich seinen Platz im Kindergarten, weil ihm keine bessere Strategie einfiel. Die Grösste legte sich mit dem Pubertieren ins Zeug und für die Trauer um meinen Vater, der in dieser Umbruchphase starb, blieb kaum Luft.

 

Mein Rettungsanker waren das Schreiben und das Musizieren mit meinem Mann. Jeweils freitags hatte ich eine Zeitinsel von zwei Stunden, während der alle Kids untergebracht waren. Ich schrieb damals die Frachterreise auf, die ich Anfang zwanzig gemacht hatte. Weit entfernt davon, es jemals zu veröffentlichen, amüsierten mich das Niederschreiben und das jüngere, naive Ich. Beim Abtauchen in eine andere Welt , vergass ich meinen kräftezehrenden Alltag um mich herum.

 

An einem Schreibmorgen witterte ich den Geruch von Zigaretten, Knoblauch und Fisch und ich hob verwirrt den Kopf. Aus heiterem Himmel hatte sich ein wilder, ungepflegter, wüster Kerl, das eine Bein über das andere geschlagen, auf die Küchenablage gepflanzt. Er trug zerlöcherte Jeans, einen roten, ausgefransten Wollpullover. Auf dem Kopf tanzten fettige schwarze Locken, sein Gesicht war von Stoppeln aller Couleur übersät. Mir fiel die Kinnlade runter, ich traute meinen Augen nicht. Jetzt war es soweit! Ich war verrückt geworden! Dieser Mann flösste mir Angst ein! Er stank bestialisch und das Kläglichste waren seine schwarzen, faulen Zahnstummel in seinem Mund, die er entblösste, wie er mich breit angrinste.

 

„Ich bin Juanes! Habe ich Dich erschreckt?!“ sagte er und lachte. Meine Verwirrung war gross! Ich hatte in Meditationen schon öfters innere Bilder und war überzeugt, bezüglich Übersinnlichem abgeklärt und offen zu sein. Doch das war eine Nummer, die meinen Verstand überstieg.

 

„Hör mal Mädchen, ich bin gekommen, um Dir einen Arschtritt zu verpassen! Du bist grad ziemlich heruntergekommen und kommst nicht recht in die Gänge “ - Frecher Kerl, wer von uns zweien ist hier heruntergekommen!!!  -„Das Leben ist manchmal anstrengend, fordert und scheint ungerecht. So what! Du hast in Dir die Power. Wecke sie wieder! Hör auf zu lamentieren und mach was Dir gut tut! Schreib! Bring Deine Geschichte mit dem Seemann fertig und mach ein Buch daraus! Es wird einigen gefallen!

 

Was faselt der da? Ich schreib doch nur für mich. Wen interessiert’s? Was habe ich denn zu sagen? Ich bin darin ja nicht ausgebildet. Und überhaupt was fällt dem ein, hier aufzutauchen und mir Anweisungen zu geben! Ich wurde stinksauer auf diesen – ja was war er denn? Ein Geist? Eine Halluzination? Ich war dabei gleich durchzudrehen!

 

„Schau, ich war ein baskischer Untergrundkämpfer und bin bei einem Bombenattentat Hops gegangen. Dumm gelaufen. Ich habe in der Zwischenzeit nachgedacht und erkannt, dass es nur doof ist, gegen etwas zu kämpfen, statt selber Neues zu kreieren, was einem selber oder anderen Leuten Bock macht! Ich habe mit dem Töten meiner Gegner rein gar nichts gewonnen. Ich war so wütend auf das System und ich war überzeugt, es sei der einzig richtige Weg, die Mächtigen mit Gewalt zu bodigen. Nada! Das kann man so machen. Aber das ist Kacke. Bin ja selber drauf gegangen. Und viele meiner Kumpels auch. Heute würde ich mit meinem Feuer, etwas bewegen zu wollen, Schulen oder Häuser bauen, Bäume pflanzen oder was weiss ich!

 

Du hast viel Power, die raus will. Mach, was Dich glücklich macht! Schreib! Sing! Mach weiter. Es gibt Leute, die Dich Scheisse finden. Na und! Es gibt aber Menschen, die Du mit Deiner Art inspirierst. Für die wenigen, mach es! Aber vor allem, tu es für Dich! Es bringt Dich ins Lot und zurück zu Deiner nie versiegenden Energiequelle! Ich weiche nicht von Deiner Seite, bis Du Dein Seemannsgarn veröffentlicht hast! Basta! Das ist mein Spass!“  

 

Wieder lachte er laut und unverschämt! Was fiel dem Penner ein! Unerhört! Wie ich empört zum Protest ansetzen wollte, war er verschwunden. Hatte sich in Luft aufgelöst. Na also doch ein Hirngespinst! Ich beobachte jedoch eine Veränderung in mir. Ich war plötzlich vitalisiert und der Gedanke, die Seereise zu veröffentlichen, verpasste mir einen unglaublichen Energieschub!

 

Ich schrieb weiter, jeden Freitag. Juanes hockte auf der Anrichte neben der Obstschale, jeden Freitag. Ich gewöhnte mich an ihn und seine Ausdünstung. Ein Jahr später hielt ich mit Herzklopfen mein erstes Buch „Seemannsgarn“ in den Händen und platzte fast vor Freude. Juanes stand stinkend hinter mir und klopfte mir auf die Schultern.

 

Meinen baskischen Untergrundkämpfer habe ich seitdem nie mehr gesehen. Brauche ihn auch nicht mehr. Bin jetzt selber mutig. Das zweite Buch Esmeralda ist veröffentlicht und kann wie Seemannsgarn einen Achtungserfolg verbuchen. Ein Drittes ist am Entstehen. Zwar habe ich mit jedem Text, der öffentlich geht, immer noch einen riesen Bammel, dass man ihn oder mich völlig daneben findet. Doch es scheint dazu zu gehören, wie das kurze Zwacken im Bauch vor dem Sprung vom Fünfmeter. Das grossartige Gefühl nach dem Sprung ist es immer wert!