Mutproben

Eigentlich bin ich ein unerschrockenes Mädchen. Meine Devise ist: Es gibt für alles eine Strategie. Ich habe keine Angst vor fremden Menschen, auch nicht vor dem Fliegen, nicht vor grossen und kleinen Tieren. Aber es gibt etwas, wovor ich im Vorfeld der Reise einen riesen Bammel hatte: Das Mietauto einzulösen, das uns die Ostküste von Cairns nach Brisbane befördern soll. Konkret heisst das: ein unbekanntes Auto, in einer unvertrauten Stadt, linksverkehr, Formalitäten.  Es war alles abgesprochen und durchgedacht bei der Reiseplanung. Heute war dieser Tag X, vor dem ich am allermeisten Schiss hatte. Ich habe mich seit gestern mit dem Flug von Darwin nach Cairns geistig dafür gewappnet und mir eingeredet – komm Mädel, das schaffst du schon! Das nahm jedoch so viel Raum ein, dass ich mich mit der neuen Unterkunft nicht wie gewohnt im voraus vertraut gemacht habe.

 

Das Flugzeug landete kurz vor Mitternacht in Cairns. Ein Taxi zu nehmen lag auf der Hand, um mich in die Rainforest Lodge 10 Kilometer nördlich zu fahren. Der kleine Ort empfing mich stockdunkel wie der Taxifahrer die Adresse anpeilte. Die Vermieterin schrieb mir vorab per SMS, dass sie eine Lampe anliesse, aber schon schlafen gegangen sei. Es war kein Licht an, aber es war ein Haus hinter einem mannshohen Holzzaun in einem dichten Regenwaldgarten in der Dunkelheit zu erkennen. „Ich hoffe für Sie, dass sie jemand erwartet“, bemerkt der Taxifahrer lakonisch besorgt, wie er zögernd von dannen fuhr.  Die Nummer 43 stimmte, die Beschreibung in etwa auch, aber es war finster. Ich betrat den Garten durch die Tür und folgte instinktiv dem Pfad durch den Garten. Ein Gekreuche und Gezische war im Unterholz zu hören. Da wurde mir etwas mulmig.

 

Zum Glück fiel mir mein Smartphone mit der Taschenlampenfunktion ein, das ich sofort zückte und ein kleines Fröschlein vor dem sicheren Tod durch schweren Rollkoffer rettete. Der Frosch war süss und an giftig dachte in dem Moment nicht, weil ich nur noch meine Unterkunft finden wollte. Da – endlich das angesagte Licht. Das musste es sein! Nach flüchtigem Umsehen, dass alles seine Richtigkeit hatte, bin ich dann husch ins Bett. Ich wollte ja fit und ausgeschlafen sein für den Tag – Auto, Grossstadt, linksverkehr und so! Ich ignorierte, dass ich seit nichts im Magen hatte. Auf dem Billigflug gab es keine Verpflegung, im Flughafen waren bereits alle Läden dicht und wegen Quarantäne (Fruchtfliegenplage) durfte kein Proviant nach Queensland mitgenommen werden.

 

Nachts um drei erwachte ich mit Mordshunger und grossem Durst. Ich hatte noch ein paar Caramelbonbons, mit denen ich mir einen Zuckerflash verpasste. Auf dem Weg in die Küche begrüssten mich eine Spinne und eine Heuschrecke: „Hallo – auch wegen Hüngerchen aufgewacht?“ Im Spülbecken putzte sich ein Mordsbrummer seine riesigen Fühler! Ein kurzer Schreck, aber ich ignorierte ihn und füllte an ihm vorbei mein Flasche mit Wasser. 

 

Zum Frühstück gab es Fertigkaffee (vom Vorgänger) mit Caramelbonbons gesüsst. Geht auch. In die Stadt nahm ich den Bus. Ein Smalltalk mit einer smarten, älteren Lady zerstreute mir die bevorstehende Herausforderung. Sie hatte einen strahlenden Teint und trug unter ihrem schicken Strohhut einen bemerkenswerten, grauen, hüftlangen Zopf. Mir fällt auf, dass ich mich vermehrt nach vorn orientiere. Welche wunderbaren Perspektiven, auch mit achtzig noch fit und knackig durch die Welt zu touren.

 

Mein Herz war beim Gang zu Hertz schwer. Abgemacht ist abgemacht und bezahlt ist bezahlt. Und nicht wenig für vier Wochen. Da konnte ich nicht kneifen. Also ab und durch. Der Agent hat mich nicht Sweetheart genannt, wie die Menschen in Darwin es pflegten zu tun, aber er war sehr zuvorkommend. Er sah mir meine Not an und nahm mich an die Hand, hat mir alles schön erklärt, wir haben den Zustand des Wagens gecheckt und protokolliert und er hat mir dann gute Fahrt gewünscht. Er hatte Vertrauen in mich! Beim Verlassen der Agentur sagte er zwei Mal mit Nachdruck: „Please remind: The Park Break is on the left!“ Diese Handbremse habe ich dann lange links gesucht und nicht gefunden. Ich habe in der Broschüre nachgeschaut, weil ich vor dem netten Mann dann doch nicht mein Gesicht verlieren wollte.  Die Handbremse ist eine Fussbremse, der Fahrersitz rechts und überhaupt alles anders als bei unserem Volvo. Und Radfahren ist sowieso viel schöner.

Nun – ich schaffte es die Fusshandbremse zu lösen, rückwärts loszufahren, links einzuspuren und mich dem Gefährt und dem Stadtverkehr anzuvertrauen. Zum Glück hat es viele Ampeln und zurzeit nicht wenige Baustellen in Cairns. Dadurch konnte ich alles gaanz laangsam aangehen lassen. Nachdem ich etwa fünfmal den Scheibenwischer statt den Blinker betätigt hatte, habe ich es irgendwann begriffen und bin nach ein paar Schlaufen durch die Stadt überraschend geschmeidig zum Dorf zurückgekehrt. Am Pier habe ich mir dann ein Bier gegönnt und mir beherzt auf die Schultern geklopft! Das hast du gut gemacht grosses Mädchen!

 

Beim Einkaufen habe ich den kleinen Vorort Machans Beach bei Tageslicht betrachtet. Er ist sehr hübsch mit seinen Queensländer Häusern, die von Palmen und Regenwaldpflanzen umwuchert sind. Typisch für den Baustil dieser Gegen ist, dass die Holzhäuser meisten wegen Schlangen und Echsen Hochparterre auf Stützen gebaut. Der Vorort sieht ein nach einer alternativen Ecke aus. Die Häuser sind bunt bemalt, allerorten wehen Tibetwimpeln, posen Buddha Statuen im Garten und im Dorfladen gibt es sage und schreibe zehn Duftnoten Räucherstäbchen. Die Vorstellung dieser traditionellen Atmosphärenreiniger und Insektenvertreiber aus Asien in den Regalen eines Schweizerischen VOLG ist höchst amüsant. Andererseits würde mir unser Dorfladen im Thurgau ein wenig mein Fernweh stillen, wenn er eine Sorte Katzenfutter (der mit Preisen gekrönte Metzger verwertet Schlachtabfälle zu einer exquisiten Tiernahrungswurst für verwöhnte Landkatzen, die nicht Mäuse jagen) zugunsten meines Lieblingsduft „Nag Champa“ aus dem Sortiment kippen würde. 

 

Meine Lodge liegt ebenerdig, dies hat eine Invasion von kriechenden Insekten zur Folge, die unter dem Moskitogitter durchschlüpfen können, zur Folge. Die letzte Mutprobe des Tages stellten Ameisen. Diese harmlosen Tiere können mir in der Regel nichts anhaben. Doch gegen Abend haben geschätzte tausend Ameisen VOR MEINEM BETT ein grösseres, totes Insekt auf dem Teppich zerlegt. Das fand ich grenzwertig eklig. Ich habe beherzt Schüfeli und Beseli – wie nennt man sowas in Deutschland? - geholt und das Gewusel an totem und krabbelnden Insekten in den Garten spediert.

 

Die Ameisen kehrten unbeeindruckt an den Meuchelplatz zurück, obwohl es dort nichts mehr zu holen gab. Die Vorstellung, dass die Ameisen eine Strasse über mein Gesicht legen würden, während ich schlafe, nein das ging nun gar nicht! „Was tun? Was tun? Was tun?“. Der Geistesblitz kam als: „Warum nicht mit der Anti-Insektenpomade (Happy Wald von Dufties) einen Bann auf den Teppich streichen – nützts nüt, so schads nüt!“ Ich habe eine Fingerspitze voll in die Kokosmatte mitten in die Ameisenarmee gerieben (der Fleck fällt nicht auf!). Man glaubt es nicht – die Ameisen sind FLUCHTARTIG davon gestoben! Die mochten den Duft der ätherischen Öle nicht! Seit fünf Stunden ist kein  Insekt weit und breit! Ich reibe mich jetzt grad auch noch mit dem Wundermittel ein, damit ich mit einem Schutzschild in diesem Urwald in Ruhe schlafen kann.